Ein Zeitungsbericht hat mich bewegt……
Es ist früher Morgen, die Zeitung kommt derzeit sehr früh und wir lesen sie zunehmend kritisch. Dennoch finden sich gelegentlich Artikel, die unsere, besonders meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Heute war eine ganze Seite über ein Thema, das für mich schon so viele Jahre vorbei ist, aber beim Lesen allein der Überschrift eine körperliche Reaktion ausgelöst hat.
Als ich 1966 mein erstes Kind bekam, hatte ich mich gut eingelesen und, informiert. Angstfrei ging ich in die Klinik und erlebte mein Waterloo. Als ich heute den Artikel las, habe ich mir gedacht: Verdammt, hat sich in all den Jahren so wenig für gebärende Frauen geändert? Sind die seit den 60iger Jahren bekannten Dinge, Folgen für Partnerschaften und vor allem für die Frauen und die Kinder bis heute nicht in der Praxis durchgedrungen?
Es wird beklagt, dass immer weniger Frauen immer weniger Kinder kriegen. Nun die Welt dreht sich, es hat sich so viel geändert, Unsere Kinder bekam ich in der Babyboomer Zeit, sie träumen inzwischen auch schon von der Rente. Mein Mann und ich sind alt geworden, aber die Geburtserlebnisse von damals sind so präsent, als wären sie frisch und die Folgen für unsere Familie sind nachhaltig bis heute.
Wie schön geregelt und selbstverständlich wurde damals alles beschrieben ein wenig wie: Man nehme, wie ein Backrezept. Wie anders gestaltete sich die Geburt dann für uns in der Großstadt. Als junge Frau erlebte ich auf dem Lande Hausgeburten, war dabei, also war es für nicht etwas völlig Unbekanntes, dass die Geburten schmerzhaft sind und Frauen sehr unterschiedlich mit der Verarbeitung umgehen. Auch Hebammen, gehen sehr unterschiedlich damit um. Je nach Persönlichkeit und nicht jede, ist für jede Frau angenehm und passend. Aber die, die ich kennen lernte, waren gestandene Frauen, die sowohl mal Grenzen setzen wie auch motivieren konnten, die unterstützen und auch mal trösten konnten, die da waren, ich habe nie erlebt, dass Frauen so allein gelassen wurden, wie ich es erfahren habe.
Wie allein gelassen, ausgeliefert, uninformiert habe ich mich dann gefühlt, weil nicht ernst genommen und mit einer Gleichgültigkeit und Wuseligkeit abgefertigt. Wie schön und normal hatte ich es erlebt, nach der Geburt, wie eine Mutter ihr Kind in den Arm bekam, es kennen lernen durfte und wie mein Kind sofort entfernt wurde. Ich habe erlebt, dass Ehemänner zwar nicht direkt dabei waren, aber dann dazu geholt wurden zum kennen lernen.
Meiner war weg geschickt worden weit weg, durfte erst zur Besuchszeit sein Kind sehen. Ich habe auf dem Lande erlebt, wie Hebammen beim Stillen geholfen, erklärt, gestützt und beraten haben. Ich bekam, weil es nicht auf Anhieb klappte, die Melkmaschine neben das Bett gestellt und mein Kind nur einmal am Tag kurz zu sehen. Dammschnitt ohne Einwilligung, ohne Erklärung, Narkose zum Nähen ohne Einwilligung oder Erklärung alles selbstverständlich, für junge Mütter der Horror.
Leider konnte man darüber mit niemandem sprechen, was willst du denn? Es ist doch alles vorbei und du hast ein gesundes Kind!“ wurde gesagt. Dass dieses Kind ein Schreikind war, was eine junge Mutter ohne jegliche Unterstützung und Verständnis Tag und Nacht nicht zur Ruhe kommen ließ, wobei die Mutter nach 6 Wochen wieder arbeiten gehen musste, hat niemanden interessiert. Wer hat erklären können und Verständnis gehabt, dass ein Kind Tag und Nacht stundenlang schrie? Es war die dumme Mutter, die zu nervös war, die nur ruhiger sei sollte und die schuld war, dass das Kind so war.
Weil auch der Vater über die Tragweite so eines traumatischen Geburtserlebnisses nicht informiert war, es sich nicht vorstellen konnte, war auch von ihm nicht die emotionale Hilfe zu erwarten, die in so einem Fall nötig gewesen wäre. Wo waren nachbetreuende Hebamme oder verständnisvolle Mutter? Sie waren alle nicht greifbar, nicht da zu schnell war das zweite Kind unterwegs, und wieder wurde man bei Übertragung nicht ernst genommen, bis es fast zu spät war. (Ach sie haben sich verrechnet!)
Dass dieses Kind früh neurologische Auffälligkeiten zeigte, die wieder lange negiert und nicht ernst genommen wurden muss ich nicht erzählen. Wie soll man sowas auch beweisen, kann es nicht ganz andere Ursachen gehabt haben? Dass all die vergeblichen Wege um Hilfe zu erhalten lange ins Leere führten und dann zu der Äußerung der Heranwachsenden: Ich bin nicht behindert, du hast mich behindert!“ und die zu einer Entfremdung geführt haben, ist verwunderlich?
Erst als ich in einem anderen Haus mein 3. Kind bekam, erlebte ich durch eine Nonne als Hebamme, wie eine Geburt auch sein kann. Dieser Ordensfrau verdanken wir das unser Kind und ich so etwas wie Heilung von vorhergehenden Traumata durchleben konnten.
Und dass dann ein solcher Artikel in der Zeitung, der zeigt, dass sich für junge Mütter, selbstbewusst gewordene Frauen in mehr als 50 Jahren so wenig zum Besseren gewendet hat, ist nicht zu fassen. Und ich dachte schon, dass mit der damals in den sechziger Jahren erscheinenden Zeitschrift für junge Mütter, Schwangere, Familien mit Namen Eltern ein Wandel begonnen hätte zum Guten es war wohl eine Fehlannahme.
Sicher sind so traumatisch erlebte Geburten nicht als allgemein zu sehen, aber viel zu oft ist es noch so, besonders in Kliniken. Wo gibt es noch gut geleitete Hausgeburten? Wo noch Hebammen, die bereit sind Tag und Nacht und sonntags und feiertags immer bereit zu sein, stundenlang zu begleiten, der Natur ihren Lauf zu lassen, wenn es immer zu verantworten ist und vor allem die horrenden Versicherungssummen zu zahlen?
Es wurde doch lange genug suggeriert, dass eine Hausgeburt viel zu gefährlich wäre, die räumlichen Verhältnisse waren und sind wohl heute auch dazu nicht mehr so geeignet. (Waren sie es je?) Wie viele Probleme im Leben von Eltern und Kindern mögen daher rühren, dass in den Kliniken solche Verhältnisse, die zu traumatischem Geburtserleben nicht ungewöhnlich sind, Schichtdienst, man muss seine Persönlichkeit an der Pforte ablegen und ist Arbeitsmaterial, was beliebig aus der Schublade gezogen wird.?
Geht es stationären Patienten mit Erkrankungen, nach Operationen, geht es Patienten in Praxen heute nicht ähnlich? Wo sind die empathischen Helfer, Ärzte, Pfleger die nicht unter dem finanziellem und Zeitdruck stehen und ihren Beruf als Berufung empfinden und ausleben?
Oft genug verändert auch Frust und Missachtung des Berufes, der Tätigkeit die Persönlichkeit der Menschen. Ein einfacher großer Zeitungsartikel hat mich alte Frau so aufgewühlt, dass ich darüber ein paar Zeilen schreiben muss.
© Karin Oehl