Gäste – Menschen im Hotel X


In der zweiten Etage plant der Gast Braun seinen Abgang. In mühevoller Kleinarbeit wie eine letzte Zeremonie, setzt er alles in Bewegung, einen schönen Schlaf zu schlafen. An der Zimmertür hängt das Schild < Bitte nicht stören! >

Das Bett ziert ein Strauß gelber Rosen, er liebt Rosen in gelbem Ton, wunderschön um sein Kopfkissen verteilt. Den Abschiedsbrief legt er auf den Tisch.

„Man wird den Brief frühestens morgen finden. Ich habe alles erklärt, niemand muss sich meinen Tod zu Herzen nehmen oder sich schuldig fühlen. Es ist mein Entschluss. Und warum wirklich, das geht niemanden etwas an“, Herr Braun überlegt ein letztes Mal.

Dann zieht er die Schuhe aus, zieht seine Krawatte gerade, leert ein Glas Wasser. Dieses Glas soll ihn erlösen, er hat Tabletten darin aufgelöst.

Nun legt er sich hin. Die Arme breitet er über seinen Bauch, faltet die Hände, als ob er schon eingebettet ist. Lange hat er sich diesen Schritt überlegt, er ist pleite!

„Wenn ich auch nur einen Hoffnungsschimmer gehabt hätte. Das kann ich nicht überleben“, während er das sagt, schaltet er das Radio ein. Musik soll ihn in die Ewigkeit begleiten, Musik und gelbe Rosen.

Musik umhüllt ihn. Wie durch Nebel hört er plötzlich: „Und nun die Lottozahlen. Die 2, die 4, die 14, die 33, die 34 und die 36. Die Zusatzzahl lautet 45.“

„Das gibt’s doch nicht, das sind meine Zahlen. „Mühselig erhebt sich Herr Braun, fällt zusammen, robbt zum Waschbecken, die Schlaftabletten wirken bereits, zieht sich am Waschbecken hoch, dreht den Wasserhahn auf und trinkt unter fließendem Kran. Er füllt sich mit Wasser. Dann lässt er sich wieder herunter und robbt zur Toilette.

„Wenn ich das noch schaffe, den Finger in den Hals zu stecken, war vielleicht nicht alles umsonst.“

Er schafft es und erbricht den gesamten Mageninhalt. Brechen konnte er schon immer gut. Das war seine Rettung. Erschöpft liegt er neben der Kloschüssel, robbt erneut auf allen Vieren zur Schlafstätte.

„Jetzt kann ich ruhig einschlafen. Ich bin noch einmal davongekommen. Mein Gott, Du hast mir geholfen.“

Ein gnädiger Schlaf bringt ihn ins Leben zurück.

Am anderen Morgen wundern sich einige Gäste über den Neuen, der wie ausgewechselt das Hotel verlässt.

 

© Margit Farwig


 
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