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Ein Hauch Sehnsucht von Margit Rosalie Patzlaff

Ein Hauch Sehnsucht von Margit Rosalie Patzlaff

Die Dunkelheit ließ sich bereits erahnen.
„Ich ruf Klaus an. Der soll dich holen kommen.“ Ich habe Onkel Georgs Stimme noch im Ohr. „Nein, auf keinen Fall, Onkel Georg.“ Klaus und ich hatten mal wieder Streit.
„Du bist ganz schön stur, Madel. Wie lang soll das zwischen euch denn noch so gehen?“ Ich schüttelte den Kopf, hatte keine Lust mit Onkel Georg über meine Eheprobleme zu sprechen. „Ich mache mich auf den Weg, sonst wird es zu spät.“ Onkel Georg wuchtete sich von der Eckbank hoch, auf der er nach der Arbeit gerne saß.
„Nimm’ wenigstens den Bus bis ins Tal.“
„Meine Güte Onkel Georg. Ich werde wohl noch das kurze Stück bis runter zu Fuß schaffen,“ stieß ich gereizt hervor. Zusammen gingen wir durch den Schankraum, in dem heute nur ein paar Hausgäste saßen, zur Tür. Klar machte er sich Gedanken um mich, und ich bereute meine Schroffheit bereits. Ich versank in seiner liebevollen Umarmung. Dann zog ich los.



Durchs Dorf und in den Wald. Die Luft war zwar schwül aber das machte mir nichts. Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf. Was war bloß los mit meiner Ehe? Über was nur stritten Klaus und ich eigentlich dauernd? Das war doch früher nicht so gewesen. Automatisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Starrte auf den Waldboden? Wieso konnte ich kaum noch etwas sehen. Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt. Durch die Baumwipfel sah ich die Gewitterwolken Daher also die plötzliche Dunkelheit. Ein Unwetter, dass hatte mir gerade noch gefehlt. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch und griff nach den Gurten meines Rucksacks. Ich hatte weder Schirm noch Regenjacke dabei.

Der Weg war steil und holprig. Gut das ich wenigstens feste Schuhe anhatte. Vereinzelt erhellten jetzt Blitze die Dunkelheit. Ich stolperte. War das überhaupt noch der Weg? Zitternd blieb ich stehen. Hier war doch eine Schutzhütte. Wenn ich die erreichte, konnte ich das Unwetter abwarten und dann weitergehen. Ich fluchte laut vor mich hin. In letzter Zeit ging aber auch alles schief. Vorsichtig ging ich weiter. War ich noch im oberen Waldstück? Bei Dunkelheit verlor ich sehr schnell die Orientierung. Ich merkte nur, es ging immer noch ziemlich steil bergab, also konnte ich noch nicht im unteren Waldstück sein. Die Schutzhütte war noch weiter unten. Ich sah mich um. Natürlich war jetzt kein anderer Mensch im Wald. Es half alles nichts, ich musste weiter.

Plötzlich war da nichts mehr. Kein Stein, kein Weg, kein Halt. Ich trat ins leere und schrie. Ich lag auf dem feuchten Boden. Ich tastete um mich, bekam einen Baumstumpf zu fassen und zog mich hoch. Als ich aufstehen wollte, knickte ich mit einem Schrei weg.

„Mist auch das noch,“ brüllte ich wütend.
„Hey geht’s auch ein bißchen leiser?“ der Schreck war noch drastischer als der Schmerz. Ich war nicht allein.
“Hey, helfen Sie mir, ich bin gestürzt.“ Ich sah auf und dachte Rübezahl stehe hinter mir. „Was ist los?“ seine tiefe Stimme klang beruhigend. Ich streckte ihm meine Hand entgegen.
„Ich weiß nicht. Ich kann nicht auftreten.“ Seine Hand war warm und als er sich über mich beugte, streifte sein langes Haar mein Gesicht.
„Was gebrochen?“ eine „Fahne“ wehte mir entgegen. Mist, auch das noch. Blitzartig schossen Horrorszenen durch mein Hirn. Ich war hilflos und der Kerl hatte mich in der Hand. Angst! Panik! Seltsamerweise tat sich bei mir nichts davon. Ich spürte nur die Wärme seiner Hand. Sehen konnte ich jetzt gar nichts mehr, weil er mir völlig die Sicht versperrte. Der Schmerz trieb mir den Schweiß auf die Stirn.
„Gleich da vorn ist ne Hütte. Schaffst du es bis da?“ Er kam mir so nah, dass ich dachte, seine vollen Lippen berührten meine. Ich schüttelte den Kopf. Er schob die Hand unter meine Knie und hob mich scheinbar mühelos hoch. Wieder durchzuckte mich der Schmerz und instinktiv krallte ich mich an ihm fest. Ich legte meinen Kopf gegen seine Schulter. Geborgenheit? Schon war der Augenblick vorbei und er stieß die Tür zur Holzhütte auf. Eine blanke Birne erhellte schwach den leeren, runden Raum. So vorsichtig wie ich hochgehoben worden war, wurde ich wieder abgesetzt. Ich lehnte mich gegen die Holzwand und sah ihn an. „Vielen Dank.“ Ein überraschend klarer Blick aus stahlblauen Augen traf mich.
„Der Schuh muss runter.“ Seinen Worten folgte auch gleich die Tat.
„Nein“, ich hielt seine Hand fest.
„Was ist los? Angst? Vergiss’ es“, ich kam mir vor, wie ein gescholtenes kleines Mädchen. „Ist der Fuß gebrochen ist, werde ich ihn schienen, sonst kommt en nasser Lappen drauf.“ Der Schuh war vom Fuß, ehe der Schmerz mein Gehirn erreichte.
„Das tut weh’“, jammerte ich.
„Beiß die Zähne zusammen. Bin gleich soweit.“ Woher nahm er bloß diese unverschämte Selbstsicherheit. Ich fügte mich einfach. Ein Verhalten, dass mir normalerweise völlig fremd war. Ich spürte seine Hände auf meinem Bein und verkrampfte mich.
„Nichts gebrochen“, brummelte er vor sich hin, stand auf und wandte sich ab, ohne mich weiter zu beachten. Er begann in seinem riesigen Seemannssack zu kramen und verschwand dann wortlos nach draußen. Erst jetzt hörte ich den Regen auf das Holzdach prasseln. Ich starrte auf die Tür, die langsam zuging. Wo war er hin? Er würde mich hier doch nicht allein lassen? Das Krachen des Donners durchzuckte mich, wie eben der Schmerz. Gerade wollte ich losschreien, als die Tür aufgestoßen wurde. Er füllte den gesamten Türrahmen, so dass nicht einmal der Blitz eine Chance hatte. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Er wickelte ein nasses Taschentuch um mein geschwollenes Gelenk. Ich beobachtete ihn. Die Behutsamkeit mit der er vorging hatte ich ihm gar nicht zugetraut. Als er fertig war, sah er mich an. Die buschigen, dunklen Augenbrauen machten sein Gesicht düster.
„Ich gehe eben runter und sag deine Leut Bescheid.“ Ich muss so entsetzt geguckt haben, dass er laut lachte.
„Sie wollen mich doch hier nicht allein lassen?“ voll Panik stemmte ich mich hoch.
„Ich komme mit. Wenn Sie mich stützen, kann ich bestimmt laufen.“
„Quatsch“, er drückte mich wieder auf den Boden.
„Blöd das du kein Handy dabei hast.“ Na klar, mein Handy. Wieso war ich nicht selbst darauf gekommen?
„Ich habe ein Handy dabei. In meinem Rucksack.“ Der lag noch neben der Tür. Kopfschüttelnd schob er ihn mir zu.
„Wieso sagst du das nicht gleich?“ er setzte sich auf seinen Seesack.
„Ich hab’s vergessen.“ Nach kurzem wühlen hielt ich es in der Hand und drückte Onkel Georgs Nummer, doch nichts tat sich.
„Was is? Keiner da?“ ich schüttelte den Kopf.
„Keine Ahnung“.
„Gib mal her“, er nahm es mir aus der Hand. „Kein Wunder das sich nix tut. So’n Ding sollte man ab und zu mal aufladen.“ Mist. Ich lief rot an.
„Und was jetzt?“ er blieb gelassen, steckte das nutzlose Gerät wieder in meinen Rucksack. Dann fühlte er nach dem Tuch um meinen Fuß und sah mich an. Tja was jetzt? Er könnte ins Tal gehen und Klaus benachrichtigen. Aber dann blieb ich hier allein zurück. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich war ein Angsthase, gestand ich mir ein. Er kramte inzwischen in seinem Rucksack und zog sich eine Dose Bier heraus. Der Nagel an seinem rechten kleinen Finger war lang, die anderen kurz und schmutzig. Mit dem Ärmel seines zerschlissenen, ehemals blauen Pullovers wischte er sich den Bierschaum vom Mund. Draußen prasselte der Regen auf die Hütte und Blitz auf Blitz zuckte durch die nicht ganz dichten Ritze. Ich hasste Gewitter und begann zu zittern. Auffordernd sah er mich an.
„Mich erwartet keiner“, log ich. „Es reicht, wenn wir Morgen früh runter gehen.“ Er nickte. „Wenn du meinst. Kommen wir also zum gemütlichen Teil.“ Mein Herz schlug einen Trommelwirbel. Was meinte er? Wenn mein Mann das sagte, wollte er meistens Sex.
„Willst du auch en Bier?“ er hielt mir eine Dose hin. Ich schüttelte den Kopf und merkte gar nicht, dass ich meinen Rucksack krampfhaft an mich drückte. Er grinste unverschämt. „Entspann’ dich. Ich vergreif mich nicht an wehrlosen Frauen. Es sei denn, du willst es.“ „Bestimmt nicht“, stieß ich hervor.
„Na denn“, wieder kramte er in seinem Seesack, förderte eine Decke, einen alten Parka, eine Zeitung und etliche Bierdosen hervor.
„Zu Essen gibt’s nichts“, verkündete er. „Nur Bier.“
„Ich habe weder Hunger noch Durst.“ Er kam mit der Decke.
„Noch schmerzen?“ Das Gelenk war dick und klopfte unaufhörlich. Ich brauchte nichts zu sagen, nickte nur. Ohne viele Worte erneuerte er den Wickel. Dann legte er die Decke über mich.

Vorsichtig streckte ich mich aus. Die Decke war rauh und stank. Ich schob sie so weit runter wie es ging. Er saß da, ließ keinen Blick von mir und grinste vor sich hin.
„Schlaf’, dann merkst du nix.“ Ich nickte und kniff die Augen zu. Wie sollte ich schlafen können? Erstens waren die Schmerzen heftig und zweitens traute ich ihm nicht. Unter halbgeschlossenen Lider beobachtete ich, wie er sich auf seinen schmutzigen Parka setzte und noch eine Dose öffnete. Er war noch jung und wenn man mal von seinem ungepflegten Äußeren absah, ein gutaussehender Mann. Ich hätte ihn gerne gefragt, wodurch er so heruntergekommen war, doch ich ließ es. „Mit solchen Leuten spricht man nicht“, wurde mir als Kind eingetrichtert. Landstreicher gab es bei uns nicht. Irgendwann muss ich dann doch eingeschlafen sein. Ich wachte auf, weil mich irgendwas im Gesicht pikste. Ich wusste gar nicht wo ich war, dachte ich träume. Ich lag mit dem Kopf auf seinem Bein und hielt es fest umklammert. Ich erstarrte, rührte mich nicht. Das Licht war noch an, der Regen prasselte und der Donner grollte. Vorsichtig öffnete ich meine Augen ganz. Er saß da, als hätte er sich nicht von der Stelle gerührt. Sekundenlang trafen sich unsere Blicke. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Schlaf weiter“; ich spürte wie mein Gesicht heiß wurde. Ich wollte weg, doch ich blieb wo ich war, fühlte mich geborgen, sicher. Ein leichtes rütteln weckte mich ein zweites Mal.

Ich hatte mich die ganze Nacht nicht vom Fleck gerührt. Verschämt zog ich mich unter meine Decke zurück, während er aufstand.
„Was macht der Fuß?“ Erst jetzt spürte ich den leicht ziehenden Schmerz.
„Ich glaube es ist besser geworden.“ Er nickte, ging zur Tür. Gleißendes Licht fiel herein als er sie öffnete.
„Soll ich allein runter, oder kommst mit?“ eine Antwort wartete er gar nicht ab. Als er raus ging, war es für den Bruchteil einer Sekunde dunkel im Raum.
„Ich komme mit“, rief ich. Das Licht fiel ohne Störung herein und eine Antwort kam auch nicht. Der wird doch wohl nicht allein losgegangen sein? Mist! Ich rappelte mich auf und wollte gerade raus, als ich ihm auch schon in die Arme stolperte.
„Hoppla“, er grinste, „keine Panik, Mädchen.“ Ich ließ mich fallen. „Der Weg ist ganz ok. Bist du sicher du packst das?“
„Klar,“ keine Sekunde länger als nötig würde ich hierbleiben. Ich wollte endlich raus aus den klammen, stinkenden Klamotten und unter die Dusche. Ich zog meinen Schuh heran und öffnete die Schnürsenkel soweit es ging. Stück für Stück schob ich meinen Fuß in den Schuh, doch sobald der Schaft gegen den Knöchel kam, schrie ich auf.
„Ne das wird nix. Wart mal.“ Aus seinem unergründlichen Seesack zog er ein paar dicke, selbstgestrickte Socken.
„So, probier’s mal damit.“
„Danke.“ Ich sah ihn nicht an. Seit der Nacht war ich ihm gegenüber befangen. Dann war ich soweit und er zog mich hoch. Meinen Schuh verstaute er in meinem Rucksack und dann ging’s los.

vor Anstrengung brach mir der Schweiß aus allen Poren und ich hatte das Gefühl, genau so zu stinken wie er. Fest klammerte ich mich an seinen Arm. Auftreten war unmöglich. Schritt für Schritt ging es vorwärts.
„Mit Handy wär’s einfacher gewesen,“ stichelte er.
„Ja, ja ich weiß.“ Als ich sein verschmitztes Grinsen sah musste ich auch lachen.
„Sie sind nicht von hier?“
„Nee, auf der Durchreise. Muss ganz runter.“ Das hieß wohl, er wollte in die Kreisstadt und wurde da erwartet. Erwartet? Siedendheiß durchzuckte mich der Gedanke. Klaus! Zum ersten Mal dachte ich wieder an ihn. Mist, der würde toben. Klaus hatte sicher bei Onkel Georg angerufen.
„Na, schlägt das Gewissen?“ Automatisch nickte ich, und starrte ihn böse an. Wieso wusste er was ich dachte. Wir erreichten den Ortseingang und unwillkürlich lockerte sich mein Griff und ich rückte merklich ein Stück von ihm ab.
„Klar, ab hier bin ich kein Umgang mehr für dich.“ Der Spott war beißend. Ein Stich durchfuhr mich.
„Quatsch“, fuhr ich ihn an. Aber er traf den Nagel auf den Kopf. Was würden die Leute sagen, was denken. War das wichtig? Klaus war ein angesehener Geschäftsmann. Noch war es früh und kaum jemand unterwegs. Mich trennten nur noch ein paar Meter von meinem Haus. Ich löste mich jetzt ganz von ihm, sah ihn an, hielt allerdings seinem Blick nicht stand.
„Danke“, presste ich hervor.
„Vergiss es“, brummte er und schob mich weiter. Sekundenlang spürte ich die Wärme seiner Hand im Rücken, dann humpelte ich los. Ich war noch nicht ganz am Garten, als Cora auch schon anschlug. Ich hielt mich am Türrahmen fest und sah zurück. Ohne Hast und ohne sich umzudrehen ging er davon. Dann wurde die Tür aufgerissen und Klaus stand vor mir. Nach der ersten, erleichterten Umarmung ergoss sich auch schon ein Schwall Vorwürfe über mich. Der Alltag hatte mich wieder. Was blieb, war ein Hauch Sehnsucht im Herzen.


Veröffentlicht am:
18:30:25 06.07.2008

 

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