Nie alleine

Annabelle betrachtet sich im Spiegel. Wie immer, gefällt ihr was sie sieht. Das liegt wohl auch mit daran, dass sie erst voll geschminkt so richtig in den Spiegel schaut. Während sie jeden einzelnen Aspekt ihres Make-ups überprüft, beginnt sie zu überlegen, wann sie ihren ersten Schminkkasten geschenkt bekommen hat.
Im Grunde genommen weiß sie, dass dies schon sehr lange her ist. Aber Annabelle wäre nicht Annabelle, wenn sie in diesem Punkt nicht gut im Verdrängen wäre. Sie hat sich und ihre derzeitigen Mitbewohnerinnen bezüglich ihres Alters schon so oft etwas vorgeflunkert, dass sie vermutlich ihr genaues Alter selbst nicht mehr kennt.
Manchmal stellt sie sich auch vor, sie sei eine von den "4400". Mit 30 Jahren wäre sie dann damals von den Außerirdischen entführt worden und nun, Jahrzehnte später, sähe sie immer noch wie 30 aus, weil ihr biologisches Alter durch diese Entführung aus den Fugen der irdischen Normalität geraten ist. Diese Vorstellung gefällt ihr schon alleine aus dem Grund so gut, weil sie nun ihrer Neigung, jüngeren Männern nachzujagen, voll ihren Lauf lassen kann und sich niemand mehr daran stören kann.
Wer zu Beginn aufgepasst hat, sollte sich daran erinnern, dass Annabelle auch Mitbewohnerinnen hat. Doch so einfach, wie der geneigte Leser das glauben möchte, stellt sich die Situation nicht dar. Doch davon später mehr. . . . .
Annabelle sieht also gut, nach ihrem eigenen Ermessen sogar zeitlos gut, aus. Sie steht auf jüngere Männer und ist mit einer mittleren Intelligenz gesegnet. Meistens wenn sie sich wieder supertoll und erfolgreich vorkommt, drängt Rosalinde ihr ein Gespräch auf. Diese Gespräche lösen bei Annabelle immer sehr gemischte Gefühle aus. Sie glaubt, es gibt auf der Welt wohl keine zweite Frau wie Rosalinde. Die nicht unhübsche, aber schüchterne Rosalinde ist eine Mischung aus Naivität, Charme, Dummheit und Herzlichkeit. Und jeder, der Menschen mit ähnlichen Charakterzügen in einer Kombination kennt, weiß wie schwer es ist, damit umzugehen. Man möchte solche Menschen gleichzeitig knuddeln, erschlagen und beschützen. Da Rosalinde aber Annabelle in deren Eitelkeit immer wieder unterstützt, ist sie für Annabelle dann doch eher ein willkommener, als ein ungebetener Gast. Die Beiden sind aber noch in einem anderen Punkt vollkommen unterschiedlich. Während Annabelle gerne flunkert, ist Rosalinde eine Wahrheitsfanatikerin.
Nun lieber Leser ist dir entweder langweilig, oder du stellst die folgende Frage: Was ist denn so schlimm dran, dass die Beiden so unterschiedlich sind?
Gemach, gemach! Etwas Geduld braucht es noch.
Gerade als Annabelle sich einen neuen Schachzug überlegt, wie sie den jungen, knackigen Kurt rumkriegen könnte, wirft ihr Ursula wie schon so oft vor, sie sei ein Flittchen. In Italien hätte man früher die Flittchen an Beton gekettet und ins Meer geworfen. Aber darüber ärgert sich Annabelle schon lange nicht mehr. Denn sie sieht Ursula, Hedwigs Mutter, mittlerweile als ihre Ersatzoma an. Na ja, eigentlich Ersatzmutter, aber wenn sie dies zugeben würde, dann müsste sie ja auch zugeben, dass sie im selben Alter wie Rosalinde und Hedwig ist. Im Grunde genommen ist sie das auch, aber darauf kommen wir noch später.
Da Annabelle mit ihrer Masche enormen Erfolg hat kann sie es sich leisten, immer wieder Männer abzulegen, wie ein Gewand, welches eher die Figur verschandelt als verschönt. Und diese abgelegten Männer möchte sie dann immer der vernünftigen Hedwig zuschustern. Aber Hedwig ist eine hochintelligente Frau und würde sich schon deshalb nie mit den abgelegten Ersatzteilen von Annabelle einlassen.
Aber nun genug geschwafelt! Kommen wir endlich zum Ausgangspunkt der Geschichte zurück!
Annabelle, endgültig zufrieden mit ihrem Outfit und ihrem Make-up, macht sich auf den Weg zu Dr. Duerf. Und nachdem sie es sich so richtig bequem gemacht hat, fragt Dr. Duerf mit leiser, sanfter Stimme:
"Und? Mit wem habe ich heute das Vergnügen? Mit Annabelle, oder mit Rosalinde, oder mit Hedwig, oder gar mit Ursula?"

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