Teneriffa-Peru-Portugal
Mein Auswandern hat auch erst beim dritten Versuch geklappt und auch da nur mit Ach und Krach. Wenn man kein sattes Bankkonto hat, ist es überall auf diesem Planeten schwer.
Anfang in Teneriffa
Ansonsten in vielem Spätzünder, wusste ich schon recht früh - in den 60-er Jahren, ich war um die 20 - , dass ich nicht 40 Jahre lang denselben Job machen wollte, nur um mir Zeug kaufen zu können, das mich nicht interessierte: Auto, Kühlschrank, Eigenheim, konnten mir gestohlen bleiben, ich wollte leben, nicht schon mit dem Verdorren anfangen. Außerdem hatte es natürlich der Staat auf mich abgesehen, ich sollte auch das Morden lernen für etwas, das die, die es plündern, "Vaterland" nennen. Ich studierte, arbeitete, sparte und bekam, den Einberufungsbefehl auf dem Tisch, gerade noch die Kurve in die Fremde, zweieinhalb Jahre im damals noch ziemlich unbekannten Teneriffa. Ein Häuschen am Meer ohne Strom und fließend Wasser. Die fehlten nicht. Da die Liebste mit mir war, wurde diese Flucht eine Art ausgedehnte Hochzeitsreise; wir waren so "von Kopf bis Fuß" und Tag und Nacht "auf Liebe eingestellt", wie Sonne, Meer und Freiheit es sonst nur in der Happy-deppie-Musik zustande bringen. In unserer "Freizeit" malten wir, studierten Kulturgeschichte, Buddhismus, Astrologie auf den Klippen vor unserem Häuschen. Eine herrlichere Universität ist kaum vorstellbar, auch wenn sie keine Diplome vergab. Aber das Paradies ist verspielt und wo man ein Zipfelchen erhascht, hält das nicht lange. Meine Gefährtin wurde zunehmend problematisch, das Geld knapp und das Inselleben eng.
1971 hatte ich wieder ein paar Rubelchen zusammen und die Nase voll von der so genannten Zivilisation. So fuhr ich auf einem der letzten Passagierdampfer über den Atlantik, von Genua nach Rio de Janeiro.
Von Rio ging es per Bus nach Belem-Para und von hier dem ganzen Amazonas von der Mündung bis hinauf nach Peru. In Südperu mietete ich ein kleines Holzhäuschen am Pazifik und machte von hier aus Abstecher ins Land, auch nach Bolivien, wo es seinerzeit aber unerträglich war wegen eines (deutschstämmigen) Diktators, der überall spionieren und kontrollieren ließ.
Mein Wunsch war, mit und bei den Andenindios etwas Landwirtschaftliches zu machen, aber da stand ich - trotz Quechua-Grammatik in der Hand - vor einer fremden Welt (Gott sei Dank). Und dann ging, nach einem knappen Jahr, wieder das Ersparte zu Ende - so zu Ende, dass ich vom Flughafen Luxemburg zu meiner Mutter trampen und Geld zum Neuanfang leihen musste. Aber an Rubel arm, kam ich innerlich unendlich bereichert zurück.
Anfang der 80-er Jahre war ich verheiratet, hatte drei Töchterchen und wohnte seit über 10 Jahren im Nebengebäude eines Schlossguts zwischen Starnberger- und Ammersee. Da eröffnete mir mein Auftraggeber, dass die Computer dabei seien, mir meinen Broterwerb als kartographischer Zeichner zu schlucken. Zugleich kam neue Herrschaft aufs Schloss und ließ sich bald über-deutlich anmerken, dass meine Aktivitäten in Garten und Stall (wir hatten Ziegen und eine wunderbare Eselin), die bis dahin geschätzt waren, nun nicht mehr erwünscht seien. Als Freiberuf- ler hatte ich nie einen Pfennig in die Sozialkasse gezahlt, sodass ich jetzt der Gefahr ins Auge schauen musste, so im Alter von 43, 44 vor dem Nichts zu stehen.
So fuhren wir im nächsten Winter wieder hin und machten die Besitzer ausfindig. Inzwischen hatte der Escudo gegenüber der DM beträchtlich an Wert verloren, so- dass das Grundstück für uns nur noch 6.000.-DM kostete. Wieder in Deutschland konnte ich mein Gewächshaus für 5.500.-DM verkaufen - wir waren Besitzer eines Grundstücks an der Algarve.
Jetzt ging es ans "Schaffe, schaffe, Häusle baue, Hond verkaufe, selber belle"! Zwei schöne Sommer brachten auch durch die Kräuterernte etwas ein. Das war ermutigend. Da ich alles nur Denkbare zu Geld machen wollte, fiel mir ein Hörspiel ein, das ich als ausarbeitungsbedürftig betrachtet und all die Jahre in der Schublade gelassen hatte. Nun sandte ich es probehalber an den ORF; es wurde genommen und ich erhielt einen für mich ansehnlichen Batzen, genauer soviel dass es ein Zimmer unseres Häuschens ergab.
Da kündigte sich nun der Schlagschatten des Unternehmens und meiner reiferen Jahre an. Meine Gemahlin begann zusehends, sich als Gemühlin zu entpuppen. Geborene Ungarin und Röntgen-Assistentin war sie ins reiche Deutschland geflohen in der Absicht, es dort heiratenderweise zu Wohlstand und Ansehen zu bringen. Da war ich just der richtige.
Ich hatte in Portugal eine Maurermannschaft organisiert, der ich von meinem Verdienten sandte, um das Häuschen zu bauen. Natürlich flog ich eines Tages hin, um nachzusehen, ob das Geld auch zweckbestimmt verwendet würde. Es wurde. Ich kehrte wohlgemut und natürlich mit Fotos zurück. Bis dahin hatte Frau Gemahlin kein Wort zu "unserem" Portugalprojekt verlauten lassen und da sie auch sonst nie etwas begeistern konnte,trug ich mich - obgleich eigentlich recht mitteilsam von Natur - mit der ganzen Sache ziemlich allein.
Als ich nun, von Portugal zurück-kommend, wieder auf heimatlichem Boden stand und das entstehende Häuschen schildern wollte, unterbrach sie mich:" Ich will das gar nicht wissen. Ich will nicht nach Portugal. Aber da ich mit dir verheiratet bin, muss ich wohl." Boooing! Eine Alternative bekam ich nie zu hören.
Am 12. Januar 1985 - auf den Tag genau 20 Jahre nach Auswanderung Nr.1 auf die Kanaren - zogen wir mit Mann und Maus in einem löchrigen und überfrachteten Lastwagen, den eine nicht ganz zurechnungsfähige Fahrerin steuerte (sie wendete in Spanien mitten auf der Autobahn und besorgte "uns" damit einen Achsenbruch), nach Portugal.
Ich zitterte der Grenze entgegen, denn wenn es ans Verzollen gegangen wäre, dann wäre wohl mindestens die Hälfte unseres Startkapitals dafür draufgegangen.
Ich hatte mir schon die Cortez-strategie des Verbrennens der "Schiffe" hinter mir zurechtgelegt. Aber es klappte, vielleicht auch deshalb, weil ich bei Ankunft am Grenzposten mit dem jüngsten Töchterchen im Arm auf den nächsten Zöllner zueilte und "atemlos" nach der Toilette fragte. Der wies sie mir und winkte die andern im Lastwagen durch.
Das Startkapital war, wie angedeutet, äusserst knapp. Deshalb ging ich schnellstens daran, die ersten Heilkräuter auszusäen, in der Hoffnung, schon im Sommer eine kleine Ernte zu bekommen. Den "Eingeborenen" zufolge hatte es den ganzen Winter noch nicht geregnet. In der Nacht nach meiner Aussaat regnete es und da ich die Saatschalen unter der Dachtraufe hatte stehen lassen, schwemmte es alles davon. Glücklicherweise hatte ich ein paar Samen zurueckbehalten.
Nun kam eine höchst frustrierende Erfahrung auf uns zu: Mir war ja bekannt, dass der Süden Südeuropas mit wüstenähnlicher Trockenheit zu kämpfen hat, aber wie dieser Kampf aussehen kann, erfuhren wir nun am eigenen Leibe. Ich hatte eine Zisterne bauen lassen und bekam mit schöner Unregelmäßigkeit Wasser angefahren; oft genug schienen die Pflanzen schon hinüber, wenn wir sie nach bangem Warten wieder wässern konnten.
Da war mir ein Bauunternehmer gefällig, der in der Nähe einen Tiefbrunnen hatte. Auf mein jeweiliges Bitten - so alle 3 - 4 Tage - sandte er seinen Traktor, der die Pumpe betrieb und die Zisterne füllte.
Aber auch so gelang mit Müh und Not nur ein Erhaltungsbewässern, an Wachstum wagte ich bald nicht mehr zu denken. Im April war ich in beträchtlicher Verzweiflung, konnte kaum noch schlafen - und mit meiner Gemahlin beraten?
Ich weiß heute nicht mehr, wie wir uns dieses 1985 und das halbe 1986 durchschlugen. Meine Mutter spendierte mal eine Kleinigkeit - aber wirklich nicht mehr, denn sie nahm mein Portugalabenteuer als eine Art persönliche Beleidigung.
Die beiden älteren Töchterchen gingen in die Schule und hatten durchaus eine unbeschwerte Zeit. Wie schnell sie Portugiesisch lernten!
Im Frühjahr 1986 wussten wir nur noch den Ausweg, dass meine Frau in Deutschland eine Sommervertretung als Röntgenassistentin suchen sollte. Sie fand. Dass ich ihr nicht von Herzen dankbar gewesen wäre, kann niemand, der mich in dieser Situation kannte, behaupten.
Kurz bevor sie abreiste, geschah Tschernobyl. Ich bekam die Ausmaße erst dadurch mit, dass eine deutsche Freundin mit ihrem Söhnchen und bald nach ihr weitere junge Mütter mit ihren Kindern bei uns Zuflucht suchten.
So waren Haus und Grund bald ein kleines Flüchtlingslager. Zu allem Überfluss mussten meine drei und ein paar andere Kinder die Masern bekommen, teilweise mit hohem Fieber.
Zu diesem Zeitpunkt war mir bereits klar, dass in der Algarve meines/unseres Bleibens nicht war. Die Wüstenhaftigkeit, wo nicht mit großem Aufwand bewässert wird und die Künstlichkeit der Paradiese, wo dies geschieht, entsprachen nicht meiner Ökoseele. Da bot mir besagte Freundin Geld zum Bohren eines Tiefbrunnens, denn es war kaum zu erwarten, dass ich so ohne eigenes Wasser würde verkaufen können.
Nie zuvor hatte ich etwas auf Pump gemacht, aber nun sah ich keine andere Wahl, wobei es natürlich höchst fraglich war, ob sich auf diesen 8000 mickrigen, steilen Quadratmetern überhaupt Wasser findet.
Es fand sich! Wer den James-Dean-Film (ich glaube) "Jenseits von Eden" und da gesehen hat, wie plötzlich das Erdöl aus dem Boden schießt und den Helden zum Multimillionär macht, wie der sich im Ölstrahl wälzt und reckt - der kann sich ungefähr vorstellen, wie ich mich fühlte, als nach 64 m Bohrung ein arm-dicker Wasserstrahl aus dem zundertrockenen Boden schoss und lief und lief und auch noch nach einer Stunde erst aufhörte, weil die Pumpe abgestellt wurde.
Bis zum heutigen Tag gibt der Brunnen Wasser. (Am Rande erwähnt: Die Bohrfimen suchen mit Rutengängern, nicht mit technischem Gerät; Sie verzichten vertraglich auf Bezahlung, wenn nicht eine festgesetzte Mindestquantität zum Vorschein kommt.
Hier merke ich einige kleine Gedächtnislücken, was die weitere Geschichte anlangt.
Jedenfalls zeigte mir ein portugiesischer Freund, nachdem ich vergeblich quer durchs Land auf Grundstückssuche gegangen war, ein solches in Mittelportugal. Ich verliebte mich auf der Stelle und als sich der Preis (in Hoffnung auf den Verkauf in der Algarve) als anständig erwies und die Grösse meine Vorstellungen sogar weit überstieg, vereinbarte ich mit den Besitzern einen Termin für den Vorvertrag. das war ziemlich verwegen, denn zu der Zeit hatte ich noch keine Ahnung, wie sich das Verkaufen gestalten würde.
Man muss wohl zuweilen wahnsinnig sein, damit die Götter ihr Handwerk ausüben können. Noch als ich dann mit vereinbartem Scheck zum Vorvertrag anrückte, gäbe es keinen ernsthaften Käufer. (Stattdessen einen deutschen Makler, der die Nach-Tschernobyl-Algarve als Braten gerochen hatte, ohne meinen Auftrag auch mein Grundstück in Deutschland annoncierte und als ich dann - ohne an jemanden von ihm - verkaufen konnte, 8.000.-DM von mir kassieren wollte.)
Als Folge von Tschernobyl hatte in Nordeuropa eine Art Fluchtbewegung auf die iberische Halbinsel eingesetzt mit all den Folgen des "Landerwerbgeiertum". hatte zuvor außer uns nur noch eine Schweizer Familie in der Gegend gelebt, waren wir nun schnell von Deutschen, Engländern, Holländern umzingelt, was die Preise rasant in die Höhe trieb.
Noch auf der unteren Leiste der Skala bleibend, konnte ich dann ein phantastisches Geschäft verbuchen: Für weit mehr als ich investiert hatte, konnte ich nun verkaufen und von der Summe ein neues Grundstück mit 13 ha, einer Granitruine und einem fast bewohnbaren Granithäuschen erwerben. Die 13 ha enthielten ca. 9 ha herrlichen Pinienwald (2002 total abgebrannt), einen erlenbestandenen, von immergrünen Wiesen begleiteten Bach, in den ein kleinerer mündete und etliche Quellen und Brunnen. Für die Hauswasserversorgung entdeckte ich eine höher gelegene Quelle, die nur durch die Schwerkraft beide Häuser speist und auch in trockensten Sommern nie versiegt ist. Die Ruine bauten wir natürlich zu einem schönen Wohnhaus aus. Den Strom hol(t)en wir von der Sonne. Für die Heilkräuter konnte ich einen tadellosen Käufer aufspüren. Natürlich war das nicht alles auf Anhieb so perfekt, wie es sich hier wohl liest.
Als ich das Grundstück kaufte, gab es keine Zufahrt, das Land war voller Brombeeren, Stechginster & Gefährten, sodass schier das erste Jahr mit Roden draufging. Aber schon nach ein paar Monaten unseres Aufenthaltes sandte die Gemeinde einen Bagger, der uns einen Weg schaufelte, welcher sich freilich im Winter oft in einen Bach verwandelte.
Aber im dritten Jahr bekam die Gemeinde einen Zuschlag von der EG und verpasste uns nicht nur für uns einen Allwetterweg.
Ich empfand dies alles als urige Herausforderung, der ich mich gerne stellte, zumal man nun nicht mehr der Zukunft entgegenzittern musste.
Wir legten uns ein Fohlen und zwei Schafe zu, sollten doch die Kinder auch im Naturkontakt aufwachsen. Solange die Ruine nicht ausgebaut war (was sich unendlich hinzog, den ersten Bauunternehmer musste ich sogar vor Gericht bringen) lebten wir Tür an Tür mit den Tieren und manchmal nicht nur das. Das Zwerghühnchen übernachtete auf der Kaffeedose und Mignon, das Fohlen, entdeckte eines Tages unsere vegetarische Küche.
Einmal als sie schon ziemlich herangewachsen war, brach sie unversehens herein und fraß die frisch geputzten Karotten vom Tisch. - Ein hohes Lob muss ich der einheimischen Bevölkerung aussprechen: Was bekamen wir nicht alles an Gemüse geschenkt!
Im Leben ist eben unweigerlich der Wurm drin - meist der zweibeinige, der sich durch die Nerven frisst. Aber hier ist die Auswandergeschichte ohnehin zu Ende.
Dietmar deine Geschichte hat mich sehr beeindruckt. Auch weiterhin viel Glück wünscht dir