Eines Tages, zu friedlicher Nacht...

von Artem Sharaburin

Es war schon Abend und in der Klinik begannen auch schon langsam die Lichter auszugehen.
In den stillen Korridoren war endlich wieder Ruhe. Die Atmosphäre war wie immer dieselbe; weiße Wände und der Geruch nach Chlor und Bleiche. Aber in dieser Tristes war wie immer Schönheit eingebunden, denn wie viel schlimmer wäre es, wenn die Gänge der Klinik voll wären?
Das Geheul der Sirenen, panische Ausrufe nach Medikamenten und Ärzten; die Stille spielte eine Symphonie aus allzu seltenem Wohlergehen und Frieden; keine Notfälle, nur gewöhnliche Kranke.
Ein Zimmer, das war die Ausnahme, wurde von lediglich zwei Patienten, statt wie gewöhnlich vier, besetzt.
Einer von ihnen wollte einfach seine Ruhe und war deswegen bereit zusätzlich für die Ausnahme zu zahlen, und der andere war nur darum besorgt, dass so wenige wie möglich sein Zimmer teilten und er somit mehr Aufmerksamkeit bekam, was ihm das sichere Gefühl gab, im Falle eines Falls mehr Chancen zum Überleben zu haben.
Was die beide aber gemeinsam hatten war, dass sie beide an Krebs erkrankt waren. Sie mussten für diverse Untersuchungen in der Klinik bleiben, aber aus Tagen wurden Wochen und die Ärzte konnten nur noch mit schlechten Neuigkeiten behilflich sein.
An diesem Abend jedenfalls kam es letztendlich zu einem Gespräch zwischen den zwei Patienten:
„Und, wie hat Ihre Familie die Nachricht verarbeitet?“, fragte der, wie immer gelassene, Patient am Fenster. Sein Gegenüber wollte nämlich so nah an der Tür sein wie möglich, damit die Ärzte ihn im Notfall schneller erreichen konnten. Sein Zimmernachbar bevorzugte aber sowieso das Fenster, weil er so in diesen tristen Wänden immer noch an der Außenwelt teilhaben konnte.
„Schrecklich! Sie sind sehr besorgt um mich und ich muss zugeben, ich bin auch nicht sehr erfreut…“
„Verständlich…“
„Ich meine, was ist wenn ich jetzt einschlafe und morgen nicht mehr aufwache? Dann verliere ich alles was ich je erreicht hatte, alles!“
„Nun ja, so gesehen sterben Sie sowieso irgendwann, also ist es keine Frage, das sie alles verlieren werden, aber sehen Sie es doch so; je länger Sie leben, desto mehr können sie verlieren, da Sie ja zu Lebzeiten mehr gewinnen. Also macht es keinen sonderlichen Unterschied.“
„Ich will aber nicht alles verlieren, ob jetzt oder später. Wobei ich mich auf später vorbereiten könnte.“
Der Mann am Fenster stand vom Bett auf und blickte abwesend in die Dunkelheit, von der ihn nur Glas trennte, die aber so weit weg zu sein schien.
„Es gibt nur eine Sache, die grausamer ist als der Tod. Das ist die Erwartung zu sterben. Ich will mich nicht verrückt machen. Ich werde sterben, soviel steht fest. Wann und wo überlasse ich der Zukunft. Ihnen empfehle ich dies auch zu tun.“
„Ich werde morgen entlassen. Ich suche die besten Ärzte auf und sie werden mich heilen. Das zu tun ist empfehlenswert.“

Zwei Wochen nach der Entlassung fasste sich der junge, gelassene Mann ans Herz und machte seiner großen Liebe endlich einen Heiratsantrag. Die Hochzeitsfeier war groß und prunkvoll, es wurde gesungen, getanzt und getrunken. Er merkte endlich wie kurz das Leben tatsächlich ist und wollte das Beste daraus machen.
Seinen ehemaligen Zimmernachbarn ereilte jedoch ein anderes Schicksal.
Er wandte sich an viele Ärzte, er suchte nach Hilfe wo er nur konnte, aber letztendlich kam er wieder in die bereits bekannte Klinik zurück.
Mit lauten Sirenen wurde er auf den Parkplatz eingefahren, in den Korridoren herrschte Chaos, es wurde nach Ärzten gerufen, aber es war zu spät. Die Symphonie war vorbei.
Er hatte nach Lösungen gesucht, aber keine gefunden, der Tod schien ihm auf Schritt und Tritt zu folgen.
Er litt unter Wahnvorstellungen, sein geistiger Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag, er verlor den Verstand, hatte Angst wo es keinen Grund gab sich zu fürchten… Dann wurde er in eine Psychiatrieanstalt eingeliefert.
Er hatte keine Kontrolle mehr über seine Gedanken, jeden Tag dachte er, wenn er heute nicht gestorben ist, dann müsste es morgen geschehen und das wiederholte sich jeden Tag.
Nun war er tot. Aber nicht an Krebs, wie die Ärzte vorausgesagt haben und auch nicht mit 39 wie es die Diagnose war, sondern mit 32 an Herzversagen.
Seine panische Angst machte ihn kaputt.

Am Grab standen nur eine Handvoll Menschen. Einer von ihnen trat nach vorne, aus der Umarmung seine Frau, schaute auf das ärmliche Grab und flüsterte:
„Du hattest Angst alles zu verlieren, aber am Ende kam es schlimmer als du je hättest denken können. Du hast nicht nur das materielle verloren, sondern deine Freunde, deinen Verstand… Und so auch dein Leben… Hättest du meinen Rat befolgt…“

Veröffentlicht am:
21:32:39 22.02.2011

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