Reifenwechsel im Negligé

Als der Wecker klingelt, bemerke ich: Heute ist der 13. April und wieder ein Freitag, wie damals vor vielen Jahren. Damals waren die Kinder noch ziemlich klein. Nur hatte der Wecker nicht geklingelt. Voller Entsetzen wachte ich auf und musste feststellen, nur noch eine halbe Stunde und die Tochter und der Sohn sollten in der Schule sein.
Schnell die Kinder geweckt. Ab ins Bad und wenigstens Katzenwäsche. Anziehen, die Kleider wurden zum Glück bereits abends bereit gelegt. In der Zeit ein rasches Frühstück gezaubert und die Geschwister genötigt, wenigstens etwas davon zu sich zu nehmen. Susanne, die Älteste musste in die nächste Stadt zur Realschule. Die Bahn war natürlich schon fort. Rolf, der Zweitälteste ging noch im selben Ort in die Grundschule, der Weg war aber auch zu weit, um ihn bis zum Schulbeginn zu bewältigen. Das "Nesthäkchen", Stefan, besuchte noch den Kindergarten.
Für mich hatte es zum Anziehen nicht mehr gereicht. Ist ja egal, schnell einen Mantel darüber, so sieht man das Nachthemd nicht. Rasch in die Schuhe geschlüpft, mit der Bürste über die Haare und im rasanten Schritt das Treppenhaus hinunter. Die Garage auf, das Auto raus, die Kinder eingeladen und los ging es. Den Jüngsten ließ ich unterwegs aussteigen, der Kindergarten lag auf dem Weg. Jetzt kam Rolf dran, er wurde bei der Schule abgesetzt, dann auf die Bundesstraße und in die nächste Stadt. Von der Bundesstraße war es nur ein kurzes Stück und man konnte die Schule schon erkennen.
Aber bereits unterwegs musste ich feststellen, dass mit dem Auto etwas nicht stimmen konnte. Also, langsam fahren. Bei der Schule, raus aus dem Auto. Susanne rannte los, die Schultasche in der Hand. Was ich entdeckte, ließ mich erschrecken. Der rechte vordere Reifen war hin, hatte sich bereits um die Felge gewickelt. Was nun? Rad wechseln, das müsste ich können, hatte ich in einem Pannenkurs gelernt, aber praktisch noch nie ausgeübt. Aber in diesem Aufzug?
Ich traute mich nicht zu bücken, hatte ja nicht einmal eine Unterhose an. Also, den Mantel hinten zwischen die Beine geklemmt, mühte ich mich ab, das Auto mit dem Wagenheber hoch zu bekommen. Natürlich hatte ich vergessen, vorher die Muttern zu lockern. Deshalb noch einmal zurück. Uff, das war Schwerstarbeit. Oje, fast hätte ich vergessen, dass ich ja unten "ohne" war. Verhindern konnte ich sowieso nicht, dass bei jedem Bücken, dieses durchsichtige Etwas eines Nachthemds unter dem Mantel hervorblitzte. Natürlich in einem aufreizenden Rosa!
In diesem Moment näherte sich ein Retter in der Not, in Person eines Lehrers der Schule. Bereitwillig stellte er seine Aktentasche beiseite und fragte höflich, ob er helfen dürfe. Puterrot wurde ich im Gesicht, dachte, er müsse es doch erkennen, dass ich nicht richtig angezogen war. Aber er bemerkte scheinbar nichts, oder tat er nur so? Ich fühlte mich sehr unwohl. Natürlich war ich sooooo dankbar für die Hilfe und sagte es ihm auch. Er wollte dann nur noch wissen, wo sich das Reserverad befinde. Aber da musste ich selbst scharf nachdenken. Gemeinsam gelang es uns dann, es ausfindig zu machen.
Mein Retter wechselte für mich das Rad und lud das kaputte auch noch hinten in meinen Kombi. Mittlerweile fühlte ich mich wie ein Eiszapfen an. Es war doch noch sehr kühl und ich auch noch ohne Strümpfe in den Schuhen. Sehr herzlich bedankte ich mich bei dem Lehrer, stieg ins Auto und fuhr schnell weg. Zu Hause nahm ich vorsorglich ein heißes Bad, was meinen nachfolgenden Schnupfen nicht mehr verhindern konnte.
Als meine Tochter heim kam, meinte sie nur, was hätte ich für "Schwein" gehabt und grinste natürlich geheimnisvoll. Der Lehrer muss ein Kavalier gewesen sein, denn natürlich "musste" er mein Nachthemd bemerkt haben. Wer läuft denn schon am 13. April in einem durchsichtigen rosa Etwas unter dem Mantel herum. Eine große Pralinenschachtel kaufte ich am selben Tag und brachte sie eigenhändig ins Rektorat der Schule mit ein paar selbstverfassten Zeilen des Dankes.
Heidi Gotti

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